Ich denke ähnlich wie P.A.trick hinsichtlich dessen, dass man differenziert in der Beantwortung der Frage vorgehen muss, würde vieles, was nicht mit "sportlich" oder "wirtschaftlich" beschrieben werden kann, allerdings mit "Kultur" beschreiben. Sportlich und wirtschaftlich stehen wir verhältnismäßig extrem gut da, das wird niemand bestreiten - wenngleich es mir derzeit sportlich zu unambitioniert ist (sowohl bezüglich der Transferpolitik, als auch den Aussagen der Offiziellen). Letztlich nervt es mich aber nur und wenn ich mich in die Lage von Stöger oder Schmadtke versetze, kann ich einige Antworten auch nachvollziehen. Sogar das Gedulds- und Nachsichtsargument zieht bei mir einigermaßen, aber das ist wohl normal, denn in diesem Sport können Fortschritte halt auch nicht schnell genug gehen.
Anders sieht es für mich auf der kulturellen Ebene aus. Der FC hat in den letzten Jahren in allen statistisch messbaren Bereichen enorme Fortschritte gemacht. Gleichzeitig hat er aber auch einen ziemlich ekligen Dualismus etabliert, der auf zwei Spuren läuft: zum einen hat er alles dafür getan, dass aus dem gemeinen FC-Fan ein Kunde wurde, der viel Merchandisingkram kauft, immer ins Stadion geht, um Karten kämpft und bestenfalls über eine Vereinsmitgliedschaft die Reichweite der Werbeabteilung erhöht. Zum anderen sollen die Leute aber auch gefälligst bezüglich der FC-Entwicklung die Klappe halten, egal um welches Thema es geht. Das ist ein entscheidender Unterschied zur normalen Beziehung zwischen Kunde und Anbieter - wenn der Kunde Probleme hat, steht es ihm offen, sich zu beschweren und der Anbieter geht gewöhnlich darauf ein und versucht, den Kunden zufrieden zu stellen.
Der FC verbittet sich etwas derartiges, egal aus welcher Quelle. Er geht sogar noch weiter und schlägt verbal um sich, sobald es auch nur ansatzweise Kritik im Umfeld gibt. In Bezug auf die Ultras ist das besonders pervers. Für den FC sind sie Teil der Stimmungsmaschinerie, der zur spürbar anderen Stimmung beiträgt. Sie werden kollektiviert und nicht als eigenständig handelnde Subjekte, bzw. Individuen behandelt. Beispielhaft dafür ist das Spiel gegen Frankfurt, als es in der ersten Halbzeit keine Gesänge gab und der FC im Nachgang ein derart absurdes und abgehobenes Theater veranstaltet hat, dass man bei manchen Äußerungen das Gefühl hatte, die Südkurve hätte die Absetzung aller Verantwortlichen gefordert. Verständnis für die andere Seite? Versuche, das ganze sachlich einzuordnen? Oder auch nur Interesse an Erklärungen für die Abläufe? Nichts von alldem war zu spüren. Beim FC überwog offenbar die Wut darüber, vor der Bundeskanzlerin keinen Jahrmarkt in Müngersdorf präsentieren zu können. Dabei bezahlt der FC die Ultras für ihre Stimmung nicht und dementsprechend wäre auch eine etwas geminderte Tonlage angemessen gewesen.
Die Kraftprobe, auf die man sich jetzt nach dem Hoffenheimspiel und bezüglich der Choreografien mit den Ultras einlässt, ist einfach nur schäbig und zielt offensichtlich darauf ab, die Ultras aus ihrer Rolle zu drängen und sie in der Mitgliederschaft konsequent zu isolieren- weil der FC genau weiß, dass die Ultras sich viel intensiver mit dem Vereinsleben befassen als diejenigen, die Wehrle im Fokus hat. Die Intention dahinter ist meiner Meinung nach, dass man sich Mehrheiten auf Mitgliederversammlungen erhofft, um sich dann alles endgültig einhamstern zu können (China?). Den Mitgliederrat nimmt man beim FC sowieso nicht mehr ernst, vermutlich, weil auch dort zu viele Leute sitzen, die ihre Gedanken verbalisieren und Kritik üben. Das Wort "Majestätsbeleidigung" ist mittlerweile eine beispiellose Untertreibung. Wir brauchen hier keine Schalker Verhältnisse, aber Anstand, der so aussieht, dass sich Menschen mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen. Schmadtke, Wehrle und Spinner tun das maximal noch bei sich selbst - über ihnen steht nur noch die große Politik, der man sich in Form von Angela Merkel und der stellvertretenden chinesischen Ministerpräsidentin andient (mal unabhängig davon ob und inwiefern das berechtigt ist).
Ein Stadionneubau auf einem Acker mit einem Verkauf von Vereinsanteilen in erheblicher Form wäre für mich nicht mal der Zeitpunkt, an dem ich "Jetzt ist es genug, adieu" sagen würde, sondern einfach der traurige Tiefpunkt einer vollkommen offensichtlichen Entwicklung, die die meisten Mitglieder vermutlich aus Verteidigungsreflex gegenüber den Verantwortlichen als alternativlos darstellen würden - falls sie sie überhaupt erkennen. Auch daran habe ich Zweifel, was mich wiederum mächtig ankotzt. Diese Leute beschweren sich darüber, dass die Türken die Demokratie abgeschafft haben, würden aber ohne mit der Wimper zu zucken einem Verkauf von Anteilen nach China zustimmen, wenn Werner Spinner es ihnen auf einer Wahlveranstaltung befehlen würde.